Ein vom Swiss Medical Board (SMB) veröffentlichter Report plädiert nach Auswertung zahlreicher randomisierter und kontrollierter Studien – ihr Auftrag war es dabei, Vor- und Nachteile des Screenings anhand von Studien zu analysieren – für die Abschaffung systematischer Mammografie-Screenings zur Brustkrebs-Prävention. Das Swiss Medical Board (SMB) ist eine unabhängige Einrichtung der Konferenz der Gesundheitsminister der Schweizer Kantone und der Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW). Die SMB-Autoren Nikola Biller-Andorno (Institut für Biomedizinische Ethik, Universität Zürich) und Peter Jüni (Institut für Sozial- und Präventivmedizin, Universität Bern) erläutern ihre Ergebnisse im New England Journal of Medicine (2014; 370: 1965-1967 so: Nur ein bis zwei Todesfälle pro 1000 gescreenten Frauen könnten mit einem Massenscreening verhindert werden. Demgegenüber komme es bei 100 Frauen zu Falschbefunden. Diese führen teilweise zu einer diagnostischen Kaskade von wiederholten Mammografien, Biopsien und Überdiagnosen von Karzinomen, die klinisch nie in Erscheinung getreten wären, warnen die Autoren. Darüberhinaus leiden Frauen über Jahre hinweg an psychichen Belastungen wie Angst und Unsicherheit aufgrund eines falschen positiven Befundes.
Die glaubwürdigsten Schätzungen zu den Überdiagnosen sehen die Experten in der im British Medical Journal (2014; 348: g366) publizierten Nationalen Kanadischen Brustkrebs-Screening-Studie. Hier habe sich nach 25 Jahren Follow-up gezeigt, dass bei fast einem Viertel der Frauen „falscher Alarm“ ausgelöst wurde. Sowohl der Befund als auch die Behandlung würden – abgesehen von den Kosten für das Gesundheitssystem – für die betroffenen Frauen eine unnötige körperliche wie auch hohe psychische Belastung bedeuten. Auch der Review der Cochrane Collaboration, der mehrere Studien mit mehr als 600.000 Frauen im Alter zwischen 39 und 74 Jahren umfasst, ergebe keinerlei Evidenz für einen Effekt auf eine Reduktion der Gesamtsterblichkeit (vgl. Cochrane Database Syst Rev 2013; 6: CD001877-CD001877).
Basierend auf der Datenauswertung schlägt das SMB deshalb vor, keine neuen flächendeckenden Mammografie-Screenings einzuführen. Die Empfehlung richte sich nicht gegen die medizinische Methode der Mammografie an sich, betont die Wissenschafterin Biller-Andorno. Frauen, die sich aller Vor- und Nachteile der Mammografie bewusst seien, könnten selber abwägen, ob sie eine Untersuchung wollen oder nicht.
Diese Vor- und Nachteile sind jedoch den meisten Frauen nicht bewusst. Der Aufklärungsbedarf ist sehr hoch, wie IMABE bereits im September 2009 berichtete: 92 Prozent aller Frauen würden den Nutzen der Mammografie als Mittel zur Vermeidung einer tödlich verlaufenden Brustkrebserkrankung überschätzen. Die Aussage, dass eine Mammografie das Brustkrebs-Risiko um 20 Prozent reduziere, werde statisch umgedeutet, dass durch die Mammografie 200 von 1.000 Frauen das Leben „gerettet“ werde, so IMABE. Dies sei aber eine krasse Fehleinschätzung. Sie träfe nur zu, wenn ohne Screening alle Frauen an Brustkrebs sterben würden. In Wirklichkeit seien dies aber weniger als ein Prozent.
Gerd Gigerenzer vom Max-Planck Instituts für Bildungsforschung in Berlin führt dies auf eine missverständliche Darstellung der Studienergebnisse in den Medien zurück. Scharfe Worte fand er im British Medical Journal (2014; 348: g2636): Die Informationsprozesse im deutschen Screening-Programm seien nicht geeignet, den Frauen informierte Entscheidungen zu ermöglichen. Gigerenzer ruft dazu auf, die Falschinformation zu stoppen und fordert Frauen und Frauenorganisationen auf, sich in Kampagnen für ehrliche Informationen zum Mammografie-Screening einzusetzen “All women and women’s organisations should tear up the pink ribbons and campaign for honest information”.
Posted by Evelyne Huber