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Ausverkauf unserer Böden

Franz Neumayr / IRE
Franz Neumayr / IRE

Österreich ist Europameister im Zubetonieren der Böden. Ein wahrer „Ausverkauf“ findet aktuell statt. Dies hat gravierende Folgen für das Ökosystem und die Bodenpreise.

Der aktuelle dramatische Verlust an landwirtschaftlich genützten oder naturbelassenen Boden war Thema einer internationalen Expertendiskussion am 26. September im Rahmen der 12. Konferenz europäischer Städte und Regionen des IRE (Instituts der Regionen Europas) in Salzburg.

Es ging um striktere Raumordnungskriterien, Anreize für das Re-Investment in Gebrauchtimmobilien und ein deutliches Bekenntnis zum öffentlichen Verkehr. Diese drei Maßnahmen wurden unter dem Titel „1 Square meter and 100 claims – Land use and common good“ diskutiert. Am Podium diskutierten folgende internationale Experten:

  • Claudia C. Gotz, Leiterin des Urban Land Institutes in Frankfurt/Main
  • Karl Kienzl, Stellvertretender Geschäftsführer des Österreichischen Umweltbundesamt
  • Tarek Leitner, ORF-Moderator und Buchautor
  • Claus Reitan, Moderator und Journalist für Nachhaltigkeit
  • Josef Schwaiger, Salzburgs Raumordnungslandesrat
  • Christian Steiner, Leiter der Abteilung für ländliche Entwicklung, Amt der NÖ Landesregierung
  • Kurt Weinberger, Generaldirektor der Österreichischen Hagelversicherung

Österreich ist Europameister im Verlieren natürlicher Bodenflächen.

Pro Tag gehen in Europa 250 bis 275 Hektar Boden durch Bebauung verloren, davon 20 Hektar in Österreich. Ursache dafür ist die enorme Zersiedelung. Sie hat dazu geführt, dass es in Österreich pro Einwohner rekordverdächtige 15m2 Straßenfläche gibt. In Deutschland liegt dieser Wert bei 8 m2, in Tschechien oder Spanien bei 3,5 m2.

Franz Neumayr / IRE
Franz Neumayr / IRE

Österreich zerstört jährlich ein Prozent seiner Agrarfläche, doppelt so viel wie andere europäische Länder. Das wundert nicht, immerhin hat Österreich z.B. auch die größte Supermarktfläche und das längste Strßennetz pro Kopf. Gleichzeitig beträgt die in Österreich leerstehende Handels- und Gewerbefläche mittlerweile 50.000 Hektar, mehr als die Fläche der Bundeshauptstadt Wien.

Doch es sind nicht nur Verkehr und Wirtschaft, die unglaublich an unseren Grünflächen knabbern. ORF-Moderator und Buchautor Tarek Leitner wies darauf hin, dass auch die Wohlfläche pro Einwohner ständig steige. Noch 2008 sei die Gesamtnutzfläche pro neuem Einfamilienhaus bei 250 m2 gelegen, schon 2012 waren es 300 m2. Wohnungen und Privathäuser wachsen rasant, die Folgen seien dramatisch, so Leitner: „Durch Bebauung „versiegelter“ Boden kann kein Wasser aufnehmen und kein CO2 speichern. Er schafft schlechte und warme Luft in den Ballungszentren und steigert das Risiko von Überschwemmungen.“

Leitner verwies zusätzlich darauf, dass das idyllische Landschaftsbild, welches wir alle in unseren Köpfen haben, nicht mehr dem Alltags-Bild entspricht. Dieses Phänomen ist auch besser als „Paris Syndrom“ bekannt. Das sogenannte „Antrophozän“ gilt eben auch für die Gestaltung von Lebensräumen, Häuser und für die Infrastruktur und nicht nur für die Treibhausgasemissionen und den Klimawandel. Der Mensch hat in den letzten 25 Jahren große Veränderungen auf der Welt verursacht.

Das Problem: Wir wollen alles und überall verfügbar haben

Das Problem würde  in unserer „Internetmentalität“ liegen, meinte Leitner weiter, der damit einen Vergleich mit der digitalen Welt herstellte: „Wir wollen alles überall verfügbar haben, auch im öffentlichen Raum. Wir sind gewohnt, unseren Bedarf einfach anzuklicken. Aber wir vergessen, dass wir jede einmal verwendete/verbaute Fläche nicht ganz einfach zuklicken können, wie ein Fenster im Internet.“ Leitner kritisierte eine Art Maßlosgikeit des Menschen, auch im Bereich Bodengestaltung.

Den Grund erläuterte Kurt Weinberger, Generaldirektor der Österreichischen Hagelversicherung. Bebauter Raum kann kaum rückgewonnen werden, weil die Humusschicht zerstört ist, die sich in vielen Jahrhunderten aufgebaut hat. „Nur sie kann bis zu 400 Liter Wasser pro Kubikmeter speichern, nur sie enthält jene Abermillionen von Lebenwesen und jene wertvollen Inhaltsstoffe, die für hochwertige landwirtschaftliche Produktion notwendig sind“, so Weinberger. Er berichtete, dass die Schäden durch Hagel und Unwetter starkzugenommen haben und weiterhin zunehmen werden, auch in Form von „Jahrhunderthochwasser“. In immer kürzerer Zeit gibt es jetzt bereits eine höhere Niederschlagsmenge, welche von den Böden nicht mehr aufgenommen werden kann. Die dadurch enstehenden Schäden müssen repariert und finanziert werden. (Weitere Infos)

Weinberger forderte daher, dass bebauter Boden, der nicht mehr gebraucht wird, in begrünte Erholungsfläche umgewandelt werden soll. Der finanzielle Aufwand dafür ist hoch, dies sei bekannt, aber vieles an Investitionen erfolge durch die öffentliche Hand.

So wie Weinberger plädierte auch Karl Kienzl vom Umweltbundesamt für gezielte staatliche Förderungen und Programme, die Investoren bewegen sollen, auf Immobilien-Altbestände zurückzugreifen. Leerstehende Betriebe, Einkaufszentren und dazugehörige Parkplätze und Lagerflächen gibt es genug. Abschreckend für Investoren sind dabei meist die hohen Demontage- und Entsorgungskosten für die Altbestände. Hier braucht es neben strikten Raumordnungsvorgaben auch Anreizsysteme der öffentlichen Hand, forderte Kienzl.

Dass dies in Deutschland längst funktioniert, unterstrich Claudia C. Gotz, Leiterin des Urban Land Institutes in Frankfurt/Main. Unsere Nachbar haben schon vor zwei Jahrzehnten intensive Verdichtungsprogramme gestartet. „Sonst geht die urbane Qualität der kurzen Wege verloren und alle fahren nur noch Auto“, so Gotz. „Zersiedelte Strukturen sind älteren Menschen unzumutbar und sie verteuern auch die Infrastrukturkosten (Breitbandanbindung, öffentliche Verkehrsnetze) enorm.“

Leerstandsgut muss besser genützt werden

Gotz rechnete damit, dass eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens in Ballungsräumen bis zu 25 Prozent der Straßen- und Parkflächen frei machen würden. Besser genutzt werden müssten laut Gotz auch Handelszentren oder Gewerbeflächen, die keiner mehr braucht. „Wir sehen, dass die Einzelhandelsflächen durch die Internetplattformen eher schrumpfen als wachsen. Warum sollte es daher in Einkaufszentren, die kaum noch genutzt werden, nicht sinnvolle Ergänzungen durch Gastronomie, Dienstleistungsbetriebe oder soziale Einrichtungen geben, die sonst neu gebaut werden müssten?“

Alle Diskutanten waren sich einig, dass Leerstandsgut das Top-Thema in der Bodenpolitik ist. Ein Gut, dass besser genützt werden muss, um so an Boden und anderen Ressourcen zu sparen. In Österreich werden 50 000 Quadratmeter an Industrieanlagen, Wohngebäuden, et cetera leer stehen. Hier spiegelt sich die Wegwerfgesellschaft wieder. Wenn etwas kaputt ist, wird es eben weggeworfen. Dies gilt mittlerweile leider auch bei Häusern.

Salzburgs Raumordnungslandesrat Josef Schwaiger verwies darauf, dass der Schutz des Bodens und die Bodenpolitik leider noch nicht so anerkannt ist, wie der Wasser- oder Luftschutz. Der Boden als „Schatz“ wird noch ungenügend wertgeschätzt. Schwaiger zeigte die hohen Bemühungen Salzburgs auf, um die raditionelle Zersiedelung des voralpinen Raumes einzudämmen.

Franz Neumayr / IRE
Franz Neumayr / IRE

Das Salzburger Raumordnungsgesetz bevorzugt klar die Verdichtung und erschwere Neubauten auf der Grünen Wiese, auch weil die Bodenknappheit in Salzburg bereits zu unleistbaren Grundpreisen führt. Darüber hinaus bemüht man sich, leerstehenden oder widerrechtlich als Zweitwohnsitz genutzten Wohnraum zu aktivieren. Dazu muss es aber in den kommenden Jahren eine tiefgreifende und ehrliche Diskussion geben, forderte Schwaiger.

Eine Frage des Eigentums

„Es geht um Fragen des Eigentums und des Schutzes von Annehmlichkeiten etwa der guten Aussicht. Hier sollten wir einen breiten Konsens finden, wo Privatinteressen aufhören und das Gemeinwohl beginnen darf“, so der Salzburger Raumordnungsreferent abschließend.

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