Öko-Soziale Marktwirtschaft
Die Öko-Soziale Marktwirtschaft
DI Dr. h.c. Josef Riegler, Vizekanzler a.D., hat das Konzept der Ökosozialen Marktwirtschaft kompakt und aktuell formuliert, und zwar anlässlich der Tagung „Die Öko-Soziale Hauptstadt der Naturkultur Europas“ im Juli in Graz. Diese Tagung wurde von Univ.-Prof. DI Dr. techn. Anton Moser initiiert, ehemaliger Vorstand des Instituts für Biotechnologie an der TU Graz und Vizepräsident des Naturschutzbundes Steiermark, initiiert wurde:
„Seit 25 Jahren beherrscht ein von ungezügelter Gier getriebener „Raubtier-Kapitalismus“ die Welt. Er ist dabei, auf mehrfache Weise die Menschheit an den Rand des Abgrundes zu treiben. Stichworte dazu lauten in etwa so:
- Das Kartenhaus der Hoch-Spekulation kann jederzeit in sich zusammenbrechen und die gesamte Weltwirtschaft mit in den Ruin reißen.
- Die Ausbeutung und Zerstörung der Schöpfung raubt kommenden Generationen den Lebensraum.
- Der bereits stattfindende, von Menschen verursachte Klimawandel gefährdet das Überleben auf diesem Planeten und zwingt hunderte Millionen zur Flucht.
- Die Kluft zwischen wenigen unverschämt Super-Reichen und Milliarden der Ärmsten ist eine Schande für unsere Zivilisation. 62 Milliardäre besitzen gleich viel wie die 3.600 Millionen der ärmeren Hälfte! (OXFAM, Jänner 2016).
- Menschenverachtender Terror und Spiralen der Gewalt nehmen zu. Blinder Nationalismus und religiös pervertierter Fundamentalismus gefährden den Frieden.
Die größte Gefahr bei all diesen Aussagen liegt aber in einer geistigen Fehlentwicklung. Denn seit Jahrzehnten werden die Menschen auf raffinierte Weise einer „Gehirnwäsche“ unterzogen. TINA lautet der dazugehörige Slogan. Dies bedeutet „There is no Alternative!“
Heerscharen von Verantwortlichen in Medien, Wirtschaft und Politik lassen sich von diesem Slogan TINA bzw. „There is no Alternative“ leiten. Es fehlen Kraft und Mut, um einen wirklich neuen Weg zu beschreiten. Dabei gibt es eine Alternative. Und diese findet sich nicht den Rückfall in ein anderes Relikt der Geschichte, wie z. B. den Traum von einer Wiederbelebung marxistischer Planwirtschaft. Sondern es geht um etwas Neues. Es geht um die
Öko-Soziale Marktwirtschaft – der Weg der Balance
Es geht um den Weg der Balance, welcher eine dynamische, von individueller Leistung und Innovation geprägte Marktwirtschaft einbettet in ein starkes Netz sozialer Solidarität und in einen Rahmen von ökologischer Nachhaltigkeit, der unseren Planeten für alle Generationen nach uns lebenswert und liebenswert erhält. Dieses Modell nennen wir Ökosoziale Marktwirtschaft. Es bietet die Chance für einen echten Paradigmenwechsel auf allen Ebenen. Einen Paradigmenwechsel, weg von der derzeit betriebenen Zivilisation des Raubbaues. Hin zu einer Zivilisation der Nachhaltigkeit, behutsam abgestimmt auf die unterschiedlichen Kulturen und Lebensweisen.
Es geht um eine Marktwirtschaft, in der individuelle Leistung und Innovation eine faire Chance haben. Die Basis bilden bestmögliche Bildung, Weiterbildung, Forschung und Entwicklung. Es geht um ein faires Steuersystem, welches produktive Arbeit belohnt und nicht Kapitaleigner, Spekulationen sowie eine „Steuervermeidungsindustrie“ bevorzugt.
Es geht um den Abbau unnötiger bürokratischer Barrieren. Wir brauchen rechtliche Rahmenbedingungen für einen fairen Wettbewerb auf allen Ebenen. Auf Ebene des Staates, auf Ebene der EU und auf globaler Ebene. Das in der Sozialen Marktwirtschaft so erfolgreiche Modell der Partnerschaft zwischen Wirtschaft, Arbeitnehmern und Konsumenten muss auf die Erfordernisse einer globalisierten Wirtschaft weiterentwickelt werden.
Dabei stehen wir vor riesigen neuen Herausforderungen in der Gestaltung von sozialer Gerechtigkeit, diese lauten:
- demografischer Wandel – Überalterung bei uns, 60 Prozent jünger als 30 in Afrika
- Automatisierung und „Computerisierung“ – „Industrie 4.0“
- Gravierende Änderungen in den „Wertschöpfungsketten“
Wie gestalten wir unter diesen geänderten Bedingungen die Finanzierbarkeit und Generationengerechtigkeit in unseren Pensions-, Gesundheits- und Pflegesystemen? Das vorwiegend auf den Schultern der arbeitenden Menschen beruhende System aus dem 19. Jahrhundert taugt jedenfalls nicht für die Herausforderungen im 21. Jahrhundert. Ein Wettbewerb der besten Ideen wäre ein Gebot der Stunde. Reflexartiges Abblocken löst keine Herausforderungen für die Zukunft.
Eine weitere Herausforderung liegt in der immer wieder neu anzustrebenden Balance zwischen öffentlichen Einrichtungen, staatlicher Daseinsvorsorge und der Vielzahl familiärer sowie privater Leistungen in diesen Bereichen. Eine kluge Politik wird diesen Bereich bestmöglich fördern und „ermächtigen“.
Globale Gerechtigkeit – das ist die soziale Herausforderung
Die neue „soziale Frage“ des 21. Jahrhunderts ist aber die Entwicklung eines fairen Systems von globaler Gerechtigkeit. Dieses Thema wird in den kommenden Jahrzehnten über Krieg und Frieden entscheiden!
Gemeinsam mit Franz Josef Radermacher, Fritjof Finkbeiner und vielen anderen Akteuren aus der Zivilgesellschaft kämpfe ich seit dem Jahr 2003 für das Projekt: „Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft“. Hätte die EU-Kommission – wie wir das 2004 in Kontakten mit Kommissiosmitgliedern angeregt haben – dieses Projekt mit allen ihren Möglichkeiten in der EU-Strategie sowie auf internationaler Ebene vertreten, dann hätten wir uns viele der derzeit quälenden Probleme – angefangen von der Finanzkrise 2008 bis zu den Problemen mit den Flüchtlingsströmen und dem internationalen Terror weitgehend ersparen können – und außerdem vieles an Kosten. Spät aber doch beginnt die internationale Gemeinschaft, sich dieser Ideen anzunehmen.
Wie machen wir Umweltschutz auch wirtschaftlich attraktiv? Das war mein Anliegen am Beginn des ökosozialen Weges. Dieser Gedanke ist das „Alleinstellungsmerkmal“ von Ökosozialer Marktwirtschaft. Fünf „Stellschrauben“ sind dafür besonders wichtig:
- Ökologische Kostenwahrheit: Die Politik hat entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen, damit der Verbrauch begrenzter Ressourcen sowie die Belastung oder Zerstörung von Lebensraum in seinem wahren Wert in das Kostengefüge eingerechnet werden („Internalisierung externer Umweltkosten“). In einer globalisierten Wirtschaft muss das natürlich weltweit gelten! Das muss für die Nukleartechnologie ebenso gelten wie für die Folgekosten der fossilen Energie, für Transportsysteme ebenso wie für den Abbau von Schotter oder die Gefährdung von Wasservorkommen …..
- Striktes Verursacherprinzip – weltweit: Wer Umwelt belastet und Ressourcen verbraucht, muss dafür den gerechten Preis bezahlen. Das schafft Chancen für zukunftstaugliches und umweltverträgliches Wirtschaften.
- Steuern, Abgaben und Förderungen („Subventionen“) müssen das ökologisch Richtige belohnen und dürfen nicht – wie derzeit häufig – das fossile Zeitalter künstlich verlängern.
- Eine „ökosoziale Steuerreform“ ist überfällig im Sinn einer Umschichtung: Entlastung menschlicher Arbeit und Kompensation durch eine „Klimaabgabe“ auf fossile Energie.
- Klare Produktdeklaration und präzise Information: Der Konsument muss wissen, was er kauft. In Zeiten globalisierter Märkte und immer weniger durchschaubarer Produktionsprozesse ist das eine zentrale Frage für einen fairen Wettbewerb.
- Bewusstseinsbildung und Information – beginnend in Kindergarten und Schule bis zu weltweiten Kampagnen.
Jeder kann und soll etwas tun!
Ökosoziale Marktwirtschaft ist nicht nur eine Aufforderung an die Politik, sondern sie betrifft die Eigenverantwortung jedes einzelnen. Das ist gleichzeitig das Faszinierende und daraus leiten sich verschiedene Umsetzungsebenen ab:
- Persönliche Lebensführung: Verhalten als Konsument, Wohnen, Energiesystem, Mobilität! Maßstab ist der ökologische Fußabdruck.
- Ökosoziale Marktwirtschaft im Unternehmen: Europäische Unternehmenskultur; Handschlagqualität;Motivation zu Eigenverantwortung und Innovation; Positives Betriebsklima; energie- und ressourcenschonende Produktion, Kreislaufprinzip.Die Wettbewerbsfähigkeit Europas beruht nicht auf niedrigen Energie- bzw. CO2-Kosten, sondern auf Innovation und forschungsintensiver Produktion, in umweltschonenden Technologien, also in „Green Economy“.
- Ökosoziale Marktwirtschaft in der Gemeinde: Ein ganz wichtiges Aktionsfeld! Raumordnung, Flächenwidmung, kurze Wege, umweltschonende Mobilität, Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe.
- Ökosoziale Marktwirtschaft in Land und Bund:Das sind die klassischen Ebenen für die Gestaltung der richtigen politischen Rahmenbedingungen für nachhaltiges Wirtschaften.
- Ökosoziale Marktwirtschaft auf EU-Ebene: Im „Lissabon-Vertrag“ ist Ökosoziale Marktwirtschaft verankert als „Soziale Marktwirtschaft und ein hohes Maß an Umweltschutz…“. Die Verantwortlichen auf EU-Ebene sind nun besonders herausgefordert, die großartige Idee der europäischen Einigung als größtes Friedensprojekt sowie als Hort für Demokratie und Wahrung der Menschenrechte mit neuem Leben zu erfüllen. Die EU muss in der praktizierten Politik zurückfinden zum gelebten Prinzip der Subsidiarität: Die großen Herausforderungen gemeinsam bewältigen, die Gestaltung des praktischen Lebens so nahe wie möglich bei den Bürgern! Eine unterschiedliche Intensität der Zusammenarbeit und Integration soll es den Mitgliedstaaten erleichtern, ihren spezifischen Platz innerhalb des großen Gebildes EU zu finden.
- Weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft: Reform von UNO, Welthandelsorganisation, Internationalem Währungsfonds und Weltbank durch Einbau wirksamer ökologischer, sozialer und demokratischer Standards. Klare Regeln für Finanzmärkte; weltweite Finanz-Transaktions-Steuer; Unterbindung von Steuerflucht und destruktiver Spekulation; Ausgleich zwischen Arm und Reich.
Die Politik muss in einer globalisierten Ökonomie ihre gestaltende Kraft wieder erlangen! Das geht nur gemeinsam! Es ist verhängnisvoll und zum Schaden aller Beteiligten, wenn sich Regierungen und Staaten gegenseitig ausspielen und übervorteilen wollen. Die entscheidende Frage lautet:“ Wer bestimmt die Spielregeln? Die gestaltende Politik? Oder die Diktatur der Konzerne?“
„Vision ohne Handlung ist nur ein Traum;
Handlung ohne Vision ist nur Zeitvertreib;
Handlung mit einer Vision kann die Welt verändern!
(Nelson Mandela)
Zeichen der Hoffnung
Trotz der Vielzahl an Problemen, Konflikten und Fehlentwicklungen gibt es auf globaler Ebene einige ermutigende Signale. Es sind Zeichen der Hoffnung! Die Saat geht auf:
- Weltweiter Paradigmenwechsel hat begonnen: Ökosoziale Marktwirtschaft ist auf globaler Ebene angekommen. Seit der Finanzkrise 2008 hat ein Umdenken begonnen. Die seinerzeit vehementesten Vorkämpfer und Denkschmieden des Neo-Liberalismus, nämlich Internationaler Währungsfonds, Weltbank und OECD haben eine Kehrtwendung vollzogen. Ausgelöst durch den Finanzschock 2008 arbeiten sie an einem NEUEN PARADIGMA für Wirtschaft und Gesellschaft weltweit. Sie nennen es: „GREEN AND INCLUSIVE ECONOMY“. „Green“ steht für ökologisch nachhaltig und „inclusive“ für die Integration des Sozialen. Das bedeutet nichts anderes als „weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft“.
- UNO: „Nachhaltige Entwicklungsziele 2015 – 2030″: Im September 2015 wurden bei der Generalversammlung der UNO in New York die „Sustainable Development Goals 2015 – 2030 „ beschlossen. In diesen 17 Maßnahmen sind die Anliegen unseres Projektes „Global Marshall Plan für eine weltweite Ökosoziale Marktwirtschaft“ abgedeckt. Diese Ziele richten sich nicht nur an jeden Staat und an die verschiedenen Organisationen – nein – sie sind eine Aufforderung an jeden einzelnen von uns!
- Klimavertrag von Paris: Der im Dezember 2015 in Paris beschlossene Vertrag zur Begrenzung des Klimawandels ist ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zivilisation. 195 Staaten haben sich verpflichtet, jeweils ihren Beitrag zu leisten, damit der Klimawandel in einem für die Menschen erträglichen Rahmen gehalten werden kann. „Paris gibt der Welt Hoffnung!“ meinte auch Greenpeace. Die wichtigsten Punkte sind:
- Die Erderwärmung soll unter 2 Grad C gehalten werden.
- Der Ausstoß von Treibhausgasen soll bis 2050 auf NULL gesenkt werden.
- Meldepflicht für alle Staaten.
- Zwischen 2020 und 2025 sollen pro Jahr je 100 Milliarden US-Dollar an betroffene ärmere Länder bezahlt werden. Dass kommt unserer Idee vom Global Marshall Plan nahe.
- Einrichtung eines Versicherungssystems gegen Schäden durch Klimawandel für ärmere Länder.
- Darüber hinaus gibt es Tausende private Initiativen aus der Zivilgesellschaft wie beispielsweise: „Plant fort he Planet“ von Felix Finkbeiner; Aktivitäten der Global Marshall Plan Initiative; eine Vielzahl „ökosozialer Hochschultage“, initiiert von Franz Josef Radermacher; zahlreiche Aktivitäten der verschiedenen Ökosozialen Foren und natürlich Tausende Aktivitäten weiterer unzähliger Akteure.
Unsere Erde ist ernstlich bedroht, aber es gibt begründete Hoffnung!
Das entscheidende sind Menschen mit Vision und Tatkraft!“
DI Dr. h.c. Josef Riegler, Vizekanzler a.D.
Posted by Claus Reitan