Sascha Lobo´s Journalismus
Sascha Lobo, Autor und Blogger meinte kürzlich gegenüber dem “Medium Magazin” (Ausgabe 01/2015) “keine deutsche Redaktion macht einen guten Job“. Er begründet dies damit, dass viele Redaktionen selbst schuld seien, dass sie mit so vielen Hass-Kommentaren auf ihren Websites zu kämpfen hätten. Denn, so Lobo, ihr Umgang mit den Kommentaren sei von Anfang an völlig falsch gewesen. Jahrelang hätten die Redaktionen es versäumt, mit den passenden Dialogformen zu experimentieren. “Stattdessen wurden Kommentare aus Kosten- und Bequemlichkeitsgründen versteckt, weil sie so katastrophal waren”, so Lobo weiter und er spricht von Niedrigschwelligkeit.
Journalismus ist der Versuch der Realitätsvermittlung mit der größtmöglichen Objektivität. Von welchen Job spricht Lobo somit? Online Marketing? Content Marketing? Internet-Strategieentwicklung? Marktkommunikation? Er begründet seine Meinung, dass keine deutsche Redaktion einen guten Job mache damit, weil ihr Umgang mit Kommentare falsch wäre. Doch der Job einer Redaktion ist es nicht, Kommentare zu kommentieren. Redaktion sind nicht auf subtile Kommunikationsstrategien von Hass-Kommentaren ausgebildet. Warum sollten sie denn auch?
Als Verbesserungsmöglichkeiten schlägt Herr Lobo “echte Internet-Dialoge vor, anstatt die Beiträge auf Kommentar-Friedhöfen vor sich hin modern zu lassen.” Und sein zusätzlich interessant klingender Rat lautet: “Haltung zeigen”. Unter „Haltung zeigen“ in Redaktionen verstehe ich aber etwas anderes. Beispiele wie diese zeigen, dass wir endlich beginnen müssen, Journalismus zu definieren und von PR und Marketing abzugrenzen. Es muss definiert werden, was wir als die Meisterschaft in der Qualität der journalistischen Verfahren verstehen. Grundlegend dafür ist das Verständnis von Journalismus als einem eigenständigen Erkenntnis- und Wissenssystem, das charakteristische Übereinstimmungen mit sozialwissenschaftliche Methoden und Denkweisen hat – um dies in den Worten des erst kürzlich verstorbenen Hannes Haas auszudrücken. Seine Habilitationsschrift “Empirischer Journalismus. Verfahren zur Erkundung gesellschaftlicher Wirklichkeit” (1999) schloß Hannes Haas in der Hoffnung, dass dieses empirische Erkenntnisunternehmen “angesichts dynamischer Veränderungen durch Ökonomisierung, Beschleunigung, Informationsflut etc. seinen medialen und gesellschaftlichen Platz festigen (wird)”.
Um Themen durch Bearbeitung soziale Bedeutung zuzuerkennen, muss der Journalismus problemorientiere Verfahren der Recherche einsetzen. Doch das was Lobo meint, erreicht die Grenzen des Journalismus. Das ist nicht mehr mit dem herkömmlichen journalistischen Handwerk zu erfassen. Das tendiert zum wahnsinnigen und gefährlichen Selbstversuch. Maximilian Gottschlich´s Nachruf drückt es perfekt aus: “Möge Hannes Haas Hoffnung zum Vermächtnis werden für alle diejenigen, die sich in der Wissenschaft, der Politik und in den Medien für dieses Qualitätsverständnis von Journalismus verantwortlich fühlen…” Für was sich Sascha Lobo wohl verantwortlich fühlt?
Posted by Evelyne Huber