Tod ist ein Teil unseres Lebens
Der Tod Österreichs Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser (SPÖ) betrifft uns und geht uns nahe. Normalerweise werden Schmerz, Leid und Tod von uns im täglichen Leben gerne ausgeblendet. Der leidende und sterbende Mensch passt so gar nicht in unser Lebensbild. Doch wir können das Leid nicht wegschminken aus der Welt. Es ist ein Stück Realität, wie sich derzeit zeigt,
Wir wissen selber nicht, wann wir einmal Abschied nehmen: Für uns selbst nicht. Und für einen anderen Menschen auch nicht. Daher kann Oberhausers Tod ein Weckruf sein, um aufmerksam auf nachfolgende Fragen zu werden: Wie lebe ich? Wie lebe ich bewusst den Tag? Wie sehe ich all das was an Chancen und an Schönem in diesem Tag liegt?
„Wenn etwas sicher in unserem Leben ist, dann ist es unser eigener Tod“
Diesen Satz sagte DDr. Michael Landau, Präsident der Cariatas Österreich, einmal in einem Interview zu mir, Evelyne Huber. Wenn ein geliebter Mensch sterbe, fehle einem ein Stück von einem selbst. Neue Fragen würden sich für den einzelnen daraus ergeben: Wie lebe ich weiter? Was kommt durch den Bruch an einer Stelle wieder an Neuem in das Leben herein? Und daraus ließe sich auch ableiten, dass jeder Tag und jede Begegnung seine Kostbarkeiten gewinnen würden. Alle guten Erinnerungen, alle Erfahrungen von geschenkter Nähe und geteilter Zeit, nichts davon ginge verloren, so Landau in dem Interview. All das bliebe in der Erinnerung und in unseren Herzen. Und so ist es auch mit Sabine Oberhauser. Sie bleibt in unserem Herzen. Am Ende ihres Lebens zählt nicht, wie und wann sie gestorben ist. Es zählt ihr Leben und sie als Mensch und wie sie dieses mit uns geteilt hat.
Die Formulierung „sie hat den Kampf gegen Krebs verloren“ ist wohl mehr als unpassend. Sie reduziert die ehemalige Gesundheitsministerin lediglich auf ihren Körper, auf ihre Krankheit und ihre Therapie. Denn hätte sie bloß mehr kämpfen müssen? Hat sie zu wenig gekämpft? Gegen ihren eigenen kranken Körper? Oder wer war ihr Feind? Wo lag das Schlachtfeld, auf dem sie gekämpft hatte? Das Leben etwa? Was für eigenartige Fragen sind das?
Wer stirbt, ist kein Verlierer
Dass so gut wie alle Zeitungen und Zeitschriften diese Formulierung gewählt haben, um über den Tod Sabine Oberhausers zu berichten, schockiert mich. Die Presse, Tiroler Tageszeitung, Kurier, Kronen Zeitung, Kleine Zeitung, Heute, Standard, Wiener Zeitung und natürlich auch Österreich haben Frau Oberhauser als Verliererin bezeichnet. An die Worte vor acht Jahren mit Caritas Präsidenten Dr. Landau erinnere ich mich gut. Diese heute nochmals niederzuschreiben, ist offensichtlich wichtiger denn je: „Zu einer Kultur des Lebens gehört auch immer eine Kultur des Sterbens. Das wieder neu zu finden und zu entdecken, würde uns gut tun. Es geht darum dieses Tabu zu überwinden, dass das Thema Sterben und Trauer nach wie vor noch umgibt!„.
Nachfolgend habe ich mein Interview mit dem Monsignore für das Magazin GESUNDHEIT, November Ausgabe 2009 zum Nachlesen nochmals niedergeschrieben:
Herr Dr. Landau, Sie begleiten viele Menschen auf ihrem letzten Weg und sind den Angehörigen eine Stütze. Welche Erfahrungen konnten Sie sammeln
Wo es um Tod geht, da geht es um einen ganz existentiellen Verlust. Und Trauer ist die Reaktion auf diesen Verlust. Jeder Mensch trauert anders. Diese unterschiedlichen Formen der Trauer können und dürfen sein. Niemand muss sich dafür schlecht fühlen. Das gehört zum Leben dazu. Diese Trauer, dieses Abschiednehmen ist Teil unseres Lebens. Und es ist ein großes Geschenk, die Erfahrung machen zu können, in diesem Abschiednehmen nicht alleine zu sein. Das gilt für die Menschen um einen herum, das gilt aus dem Glauben heraus auch in der Gewissheit: Wir sind auf den Wegen unseres Lebens nicht alleine. Wir sind immer auch in einer großen Gemeinschaft, die uns trägt.
Was für Fragen wirft der Tod auf?
Ich glaube, dass gerade der Tod und das Sterben eines Menschen, der uns nahe steht, auch für uns selber die Frage nach den Prioritäten aufwirft. Und ich glaube, es ist ein ganz entscheidender Punkt, sich die Frage zu stellen, lebe ich heute schon so, wie ich am Ende meines Lebens gelebt haben möchte? Stimmen die Reihungen in meinem Leben? Das würde ich auch aus dem Glauben heraus so ergänzen – dass wir am Ende unseres Lebens nicht vor der Frage stehen, welche Titeln wir errungen haben, welches Einkommen wir gehabt haben, wie viel Prestige wir in der Gesellschaft gehabt haben.
Was wird somit am Ende unseres Lebens zählen?
Ich bin überzeugt, dass am Ende für uns andere Dinge zählen werden. Da wird zählen, ob wir aufeinander geschaut haben, ob wir füreinander da gewesen sind, ob wir einander in Achtung begegnet sind, ob wir versucht haben uns Zeit füreinander zu nehmen. Ich glaube, all das kann einem in dieser Situation des Abschiedsnehmens und in der Situation der Trauer klar werden. Das ist auch eine große Chance, die eigenen Prioritäten, die eigenen Schwerpunkte noch einmal anzusehen.
Wie können wir in unserer Gesellschaft die Aufmerksamkeit für die Menschen rund um uns stärken?
Ich sehe in meiner eigenen Arbeit – ich bin auch immer wieder als Seelsorger in unseren Häusern unterwegs – dass es oft kleine Dinge sind die einen ganz großen Unterschied für Menschen machen. Ob da einer ist, der an der Türe anklopft und sagt, wie geht es dir? Ob einer einem anderen ein Lächeln schenkt, oder ein gutes Wort. Ob man stehenbleibt und mit jemandem ein paar Worte wechselt. Ich glaube, dass diese Aufmerksamkeit füreinander eine der entscheidenden Sachen für die Zukunft zum Stärken und Entwickeln sind. Und da sind kleine Dinge entscheidend.
Welches persönliches Erlebnis hatten Sie selber mit Tod und Trauer?
Ich erinnere mich an jene Situation als meine Mutter zum Sterben im Spital gewesen ist. Und für mich war damals etwa mein Bruder ein ganz große Hilfe, und auch einige Menschen die einfach da waren, wo wir ganz offen reden konnten. Wir haben geschaut dass wir jeden Tag wenigstens einen Sprung ins Spital kommen. Und ich habe selber erlebt, wie wichtig es ist, sich diese Zeit zu nehmen und diese Möglichkeit zu haben, einfach da zu sein. Da kommt es gar nicht so sehr auf die Worte an, sondern einfach nur auf das Dasein. Es ist wichtig, das in der Gesellschaft möglich zu machen. In Form des Naheseins-Können, dass das geht. Auch dass niemand existentielle Sorgen haben braucht, wovon soll er dann leben in dieser Situation, in der Zeit? Wie soll das gehen? Hier muss die entsprechende Entlastung, Unterstützung und Begleitung sicher gestellt werden. Das ist ein ganz wesentlicher Dienst der Menschlichkeit.
Wie denken Sie über Euthanasie beziehungsweise Sterbehilfe?
Es gibt einen breiten politischen Konsens in unserem Land: Nein zur Euthanasie, und ja zur Hospizarbeit. Und wer aktive Sterbehilfe nicht will, muss für optimale Sterbebegleitung sorgen. Ich glaube da können wir auf die Entwicklung in unserem Land stolz sein. Österreich hat eine gute Tradition im Bereich der Hospizarbeit. Das ist ein breites Bündnis für Menschenwürde über alle Parteigrenzen hinweg. Ich erinnere gerne an den Kardinal Franz König, der sich am Ende seines Lebens sehr für die Hospizarbeit eingesetzt hat. Eine unserer Grundüberzeugungen als CARITAS ist, dass Menschen an der Hand eines anderen Menschen sterben und nicht durch die Hand eines anderen Menschen.
Wie kann man einem Sterbenden und seinen Angehörigen an der Hand nehmen und helfen? Also Hospizarbeit leisten?
Ich bin schon viele Jahre in der Begleitung von Menschen am Ende ihres Lebens tätig, da geht es darum die Betroffenen und die Angehörigen in der Zeit der Trauer nicht im Stich zu lassen. Hospizarbeit ist die Chance, den Menschen jenseits der medizinischen Grenze, jenseits des medizinisch Machbaren als Ganzes in den Mittelpunkt zu rücken. Es geht um den ganzen Menschen. Und es geht auch darum dieses Tabu zu überwinden, dass das Thema Sterben und Trauer nach wie vor noch umgibt. Also gerade in der Situation ist Hospiz eine Antwort, die Leben bringt.
Hat sich da etwas in den letzten Jahren geändert?
Wenn man nur auf die letzten zehn bis 15 Jahre zurücksieht, sieht man wie viel sich positiv bewegt und verändert hat. In den Spitälern und in den Senioren- und Pflegeeinrichtungen ist das Bewusstsein für die Hospizarbeit enorm gewachsen. Zugleich ist aber auch klar, da ist noch einiges zu tun in dem Bereich.
Was hat die CARITAS hier beigetragen?
Wir haben im Vorjahr alleine in der Erzdioszöse Wien mehr als 1.600 Menschen auf diesem letzten und vielleicht schwersten Stück des Lebens begleitet. Für mich ist das ist ein ganz wichtiger Dienst. Weil gerade an den Rändern des Lebens und an den Rändern der Gesellschaft diese Aufmerksamkeit entscheidend ist. Und weil letztlich auch das menschliche Antlitz einer Gesellschaft ganz entscheidend damit zusammenhängt oder davon geprägt wird, wie mit Menschen am Ende des Lebens umgegangen wird. Ich glaube, das ist ein ganz wesentlicher Indikator einer humanitären Gesellschaft. Es geht darum in unserer Gesellschaft die Würde des Menschen – und zwar bis zu seiner letzten Stunde – wieder ganz in den Mittelpunkt zu rücken.
Wie kann jeder von uns den Hospizgedanken umsetzen?
Es geht darum Respekt zu haben vor dem Sterbenden und den Angehörigen. Ein Thema das uns hier wichtig geworden ist, ist etwa die Familenhospizkarenz, für die wir uns eingesetzt haben. Gerade am Ende ist es wichtig, dass Menschen von anderen Menschen, die ihnen nahe stehen, begleitet werden. So ein bisschen wie Eltern am Anfang des Lebens das Recht haben ihre Kinder in das Leben hinzubegleiten, so sollen eigentlich auch Kinder am Ende des Lebens das Recht haben, die Eltern aus dem Leben hinauszubegleiten.
Was ist eine Familienhospizkarenz?
Das ist eine Karenzierungsmöglichkeit, bei der man ausreichend Zeit hat, um die eigenen Angehörigen zu begleiten, wenn diese Begleitung notwendig ist. Wir sehen, dass gerade Menschen in schwierigen Situationen ungeheuer unter Druck kommen, wenn sie begleiten wollen und nicht wissen, wovon sie dann leben sollen – vielleicht noch mit ihren Kindern. Also das was aus unserer Sicht hier noch fehlt, ist eine Art Karenzgeld, eine existentielle Absicherung für die Zeit der Familenhospiz.
Wie sieht die Finanzierbarkeit aus?
Niemand würde auf die Idee kommen für Intensivmedizin oder Allgemeinmedizin Spenden zu sammeln. Klar ist, dass jeder der Intensivmedizin braucht, erhält diese auch. Ich glaube, das muss künftig auch für den Bereich der Hospizarbeit gelten. Das heißt: Es muss einen flächendeckenden und leistbaren Zugang für alle Menschen zur Hospizversorgung in ganz Österreich geben, in all ihren Formen, mobil, stationär und teilstationär. Die Sorge um Hospiz hat auch mit dem eigenen Leben zu tun. Wir werden selbst irgendwann vor diesem letzten Wegstück stehen. Und ich glaube auch, wir werden uns selber diese Nähe von Menschen wünschen.
Danke für das Interview! (Posted by Evelyne Huber)