Was uns zusammenhält
Was hält uns zusammen? Besonders dann, wenn unsere Gesellschaft weltweit mit wachsenden Bedrohungsszenarios und zunehmender Gewaltbereitschaft konfrontiert ist? Wenn Staaten darauf mit vermehrter struktureller Gewalt und Kontrolle reagieren? Wie können wir Gewalt produktiv begegnen und welche alternativen Szenarien ihr entgegengesetzen? Das waren Fragen mit denen sich das sechste Symposion Dürnstein 2017 auseinandersetzte. Von 9. – 11. März 2017 diskutierten hochkarätige nationale und internationale ExpertInnen Aspekte von Gewalt im Spannungsfeld von Politik, Religion, Philosophie und Gesellschaft.
Wie manifestiert sich Aggression im Gehirn?
In seinem Eröffnungsvortrag stellte der Psychoneuroimmunologe Joachim Bauer dar, wie sich Aggression im menschlichen Gehirn manifestiert, und zeigte auf, dass Akzeptanz und Anerkennung durch andere Menschen wesentliche Auslöser für Wohlbefinden seien. Aggression hingegen entstehe durch das Gefühl der Ausgrenzung, das im Gehirn das Schmerzzentrum aktiviert. Um den Schmerz zu bekämpfen und das Gefühl der Akzeptanz zu erreichen, seien Menschen auch zur Gewaltanwendung bereit.
Zusammenhang Chaos und Gewalt
Den zweiten Symposionstag eröffnete Michael Staudigl, Philosoph an der UniversitätWien, mit einem Plädoyer für einen relationalen Gewaltbegriff. In einer Zeit der Globalisierung und der geteilten Gemeinschaft sei Gewalt nicht wegzudenken. Vielmehr sei das Verhältnis von Gemeinschaft und Gewalt mit jenem von Chaos und Ordnung zu vergleichen: Ohne Chaos, keine Ordnung. Die Ordnungsleistung einer Gemeinschaft sei an ihrem Verhältnis zur Gewalt, mit der sie andere ausgrenzt, ablesbar.
Verhältnis von Verwaltung und Gewalt
Wolfgang Gratz, Professor für Kriminologie an der Universität Wien, zeigte daraufhin Problemstellungen des Verhältnisses von Verwaltung und Gewalt inÖsterreich auf. Dabei ging er auf die Gewalt als Aufgabe der Hoheitsverwaltung, auf Beispiele im Asyl- und Fremdenrecht sowie im Sozialrecht und der Jugendwohlfahrt ein. In all diesen Bereichen sei der Funktionsmodus der Verwaltung von Faktoren wie politischen Rahmenbedingungen, der medialen Berichterstattung sowie dem Ausmaß der Professionalisierung abhängig. Laut Gratz seien dabei eine klare Hauptaufgabe und Orientierungsgrundsätze des jeweiligen Bereichs sowie die Öffnung der Verwaltung zur Zivilgesellschaft hin von hoher Bedeutung.
Ursachen der Radikalisierung von Jugendlichen
Mit den Ursachen der Radikalisierung von Jugendlichen im Islam beschäftigte sich der Psychologe und Autor Ahmad Mansour. Er führte zahlreiche Beispiele an, wie Werkzeuge der Popkultur von Radikalen genutzt werden, um Jugendliche auf der Suche nach einer Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen können, anzusprechen. Aber auch Grundprobleme im verbreiteten Verständnis vom Islam, wie ein Schwarz-Weiß-Denken im Sinne von Verbot und Erlaubnis, fehlendes Reflektieren von Entscheidungen sowie eine vorherrschende Geschlechterapartheid, wurden aufgezeigt. Ahmad Mansour stellte die Frage in den Raum, wie ein zukunftsfähiger Islam aussehen könnte. Angefangen von einer innerislamischen Debatte bis zur Vermittlung der Inhalte verschiedener Religionen in Schulen seien zahlreiche Maßnahmen notwendig.
Vernunft, Emotion und Politik
Gary S. Schaal, Professor für Politikwissenschaft, widmete sich am Nachmittag dem Verhältnis von Vernunft und Emotion und deren Anwendung in der Politik. Emotionen sind wie Fakten Thema demokratischer Politik, sie können aber auch anstelle von Fakten als Begründung für politische Positionen dienen. Schaal ging im Besonderen auf aktuelle Entwicklungen ein, im Rahmen derer diffuse Ängste in Angstszenarien umgewandelt werden, um diese als Begründung von Politik anzuwenden, die Emotionen an die Stelle von Fakten stelle. Darin sieht Schaal nicht nur einen Machtmissbrauch, sondern auch ein Ende der liberalen Demokratie.
Kommunikative Gewalt-Kanäle
Walter Ötsch, Professor für Ökonomie und Kulturwissenschaften, setzte mit einem Impulsreferat zu Angst-Ideologien, Gewalt-Phantasien und ihren Kanälen in Österreich fort. Er stellte dabei Thesen zur ökonomisierten Gesellschaft, dem Ansteigen von Ängsten und der Nutzung dieser Ökonomisierung durch rechtspopulistische Parteien auf. Kernmethode des Rechtspopulismus sei für ihn die Kommunikation über Bilder, die strategisch für eine Politik der Ängste genutzt werde.
Menschenhandel und -rechte
Gudrun Biffl, Professorin für Migrationsforschung, zeigte in ihrem Vortrag auf, dass Menschenhandel keineswegs ein Thema der Vergangenheit sei, sondern vielmehr auch heute stattfinde und durch Entwicklungen wie die Globalisierung, Migrationsströme, technologische Entwicklungen sowie geringe Transportkosten mitgetragen werde. Gleichzeitig schilderte Biffl, welche Schwierigkeiten in der Erfassung und Bekämpfung derartiger Delikte durch rechtliche und politische Rahmenbedingungen bestehen.
Feministische Verletzlichkeit
Nikita Dhawan, Professorin für Politikwissenschaft, ging in ihren Schilderungen „zum vertrackten Verhältnis von Geschlechtergewalt, Verletzlichkeit und Handlungsmacht“ unter anderem auf die Problematik der Instrumentalisierung feministischer Forderungen für rassistisches Gedankengut bei gleichzeitigen Rückschritten der feministischen Errungenschaften ein. Umso wichtiger sei die gemeinsame politische Positionierung nicht rassistischer Feministinnen im globalen Norden und Süden. Neue Formen der kollektiven Handlungsmacht entstehen paradoxerweise gerade dort, wo Vulnerabilität – also Verletzlichkeit – zugelassen werde. Auch die Geschichtsvergessenheit, die im postkolonialen Diskurs in Österreich festzustellen sei, wurde von Nikita Dhawan in diesem Zusammenhang angeschnitten.
Gewalt aus religiöser Sicht
Der Theologe Wolfgang Palaver wollte in seinem Vortrag nicht die Religionen an den Pranger gestellt wissen, wenn an Gewalt gedacht wird, da dies nur davon ablenke, dass Gewalt letztendlich von Menschen komme. Das Potenzial für Gewalt sowie jenes für Frieden, stecke in jedem Menschen. Die Motivation zu Gewalt sei vielfältig, eine davon sei religiöser Fanatismus. Dabei sei die Grundlage für Gewalt meist Begehren, das über Erreichbares hinausgehe. Palaver erörterte darüber hinaus Thesen zu den sakralen Wurzeln der staatlichen Gewalteindämmung sowie die Nachahmung der kenotischen Heiligkeit – also der Verzicht auf egoistische Motivation – als Alternative zur Gewalt aus religiöser Sicht.
1. Podiumsdiskussion
In der abschließenden Podiumsdiskussion mit Nikita Dhawan, Wolfgang Palaver und Philippe Buc wurde – moderiert vom Theologen Karsten Lehmann – die Frage in den Raum gestellt, wie abstrakte, universale Begriffe von Gewalt und Religion aussehen können und wie sich die Beziehung von Religion und Gewalt darstellt.
Philippe Buc, Professor für Geschichte des Hoch- und Spätmittelalters, meinte, dass symbolisch reiche Bilder der Gewalt rückblickend nicht aus der Religion wegzudenken seien. Eine endgültige Loslösung der Gewalt von Religion sei für ihn auch künftig nicht möglich, da es immer Gruppen geben werde, die sich von anderen Gruppen abgrenzen wollten. Erweitert wurde die Diskussion durch eine Kritik an einem universalen Begriff der Menschenrechte, für die eine ebenso universale Entsprechung auf politischer Ebene nötig wäre.
Was tun Populisten an der Macht
Der Samstag startete mit dem an der Princeton University lehrenden Politikwissenschafter Jan-Werner Müller, der in seinem Vortrag „Was ist Populismus“ analysierte, was Populisten tun, wenn sie an der Macht sind. Er zeigte Strategien auf, wie BerufspolitikerInnen und Zivilgesellschaft ihnen entgegentreten können. Müller definiert Populismus als antipluralistisch, da es stets um den Ausschluss bestimmter Gruppen und Menschen gehe. Seit der Brexit-Entscheidung und der Wahl von Donald Trump werde von PopulistInnen gerne das Bild einer unaufhaltsamen Welle oder eines Domino-Effekts verwendet, der sich weiterentwickeln wüde. Dieses Bild hält Müller für falsch, da z.B. die Bundespräsidentschafts-Wahlen in Österreich gezeigt hätten, dass durch ein starkes zivilgesellschaftliches Engagement auch andere Ergebnisse möglich seien. Außerdem hält Müller es für wichtig, das Gesamtbild im Auge zu behalten, denn weder die Brexit-Entscheidung noch die Wahl Donald Trumps wären ohne die Unterstützung durch etablierte Personen und Kreise in den jeweiligen Ländern möglich gewesen.
Armut und mangelnde Bildung in Nigeria
Laut dem Philosophen Jonathan Chimakonam Okeke sei Gewalt in Nigeria zwar religiös motiviert, doch lägen die Gründe dafür woanders. Nigeria sei ethnisch enorm divers (Platz 9 weltweit), und es fehle ein einigendes nationales Bewusstsein; Armut und mangelnde Bildung in weiten Teilen der Bevölkerung werden von Clan-FührerInnen durch religiöse Mobilisierung zum eigenen Vorteil ausgebeutet. Okeke plädierte daher für mehr Bildung, für Wege aus der Armut, eigenständiges Denken und eine Weltsicht, die statt Isolation wechselseitige Verbundenheit betone.
Friedensprozess und -erziehung
Über die Beziehungen zwischen Zivilgesellschaft und Militär bzw. der Friedenserziehung in Israel sprachen am Freitagnachmittag Lea Landman, Vorsitzende des Beirats von „Women in International Security Israel“ und die Politikberaterin Jumana Jaouni. Die Grenzen zwischen Militär und Zivilgesellschaft in Israel seien fließend, das Militär in Israel sei nicht nur sehr präsent, sondern genieße auch hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, so Landman. In jüngster Zeit seien allerdings sexuelle Übergriffe auf Frauen durch teils hohe Offiziere bekannt geworden. Das Problembewusstsein im männerdominierten Heer steige, da die Gesellschaft diese Übergriffe zunehmend weniger akzeptiere und sich das Militär dadurch ebenso damit auseinandersetzen müsse. Als gegenläufige Tendenz nannte Lea Landman den Einfluss von orthodoxen und ultraorthodoxen Religionsauffassungen, der im Zunehmen begriffen sei und für den Status der Frau sowohl im Militär als auch in der Gesellschaft wenig förderlich sei. Die Politikberaterin Jumana Jaouni analysierte den Zerfall der palästinensischen Gesellschaft nach den letzten allgemeinen Wahlen im Jahr 2006. Sie beobachtete ebenfalls ein Erstarken der Religion bei den PalästinenserInnen, das zur Folge hätte, dass sich die Menschen nicht mehr wie vor 2006 vorrangig als PalästinenserInnen, sondern als Muslime oder Christen etc. begreifen würden. Die Beziehungen der PalästinenserInnen untereinander seien konfliktgeladen und junge Menschen hätten wenig Perspektiven. Der Friedensprozess sei daher stark ins Hintertreffen geraten.
2. Podiumsdiskussion
Mit einem Impulsreferat der Publizistin Sibylle Hamann, die sich Aspekten der kulturellen Gewalt widmete und einer anschließenden Podiumsdiskussion über die Wechselwirkungen von kultureller und struktureller Gewalt mit Andreas Brunner (Qwien Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte), Dina Malandi, der Leiterin der ZARA-Rechtsberatungsstelle für Opfer und ZeugInnen von Rassismus, sowie Martina Eigelsreiter vom Büro für Diversität der Stadt St. Pölten ging das Symposion Dürnstein am Samstagabend zu Ende.
Das Symposion Dürnstein, das sich seit 2010 wichtigen gesellschaftspolitischen Themen aus der Perspektive unterschiedlichster Disziplinen widmet, wird von Ursula Baatz kuratiert und von der NÖ Forschungs- und Bildungsges.m.b.H. (NFB) veranstaltet. Kuratorin Ursula Baatz zusammenfassend zum Symposion: „Das Symposion soll zeigen, dass Gewalt nicht unvermeidlich, weil biologisch bedingt ist, sondern dass Gewalt immer soziale Ursachen hat. Schlecht organisierte staatliche Verwaltung kann genauso Ursache von Gewalt sein wie ökonomische Ungleichheit. Jede Zerstörung von Integrität wird von Menschen als Gewalt erfahren, die sie zu Gegengewalt motiviert. Unter dem Vorzeichen von Globalisierung und Migration liegt daher in der Reduktion von kultureller und struktureller Gewalt ein wesentlicher Schlüssel zur Befriedung der Gesellschaft.“
Details und weitere Informationen unter www.symposionduernstein.at.