Wer will schon teilen?
Ist das tatsächlich die Frage? Lautet die Frage nicht eher, wer muss teilen? Und wenn wer muss, warum? Und müssen dann auch alle anderen teilen? Ich habe beispielsweise in meinen ersten 15 Lebensjahren alles teilen müssen: Den Bauch meiner Mutter, ihre Muttermilch, das Gitterbett, die Geburtstagsfeiern, die Hosen, Pullover, Haarspangen, Freunde und Freundinnen und die Zuwendung meiner Eltern und meines Bruders. Ich bin ein eineiiger Zwilling. Mich hat niemand gefragt, ob ich gerne teile. Ich musste. Soll ich mich nun ernsthaft fragen, warum ich eigentlich musste und meine Mitmenschen nicht? Es reicht mir eigentlich schon, dass mir in diversen Seminaren und Persönlichkeitscoachings vorgeworfen wurde, ich würde zu wenig an mich und zu viel an die anderen denken. Ein sehr beliebter Spruch heute. Ein ehemaliger Vorgesetzer meinte einmal gar zu mir, ich hätte zu viel „Altruismus“. Ich habe gekündigt.
Denn ohne Teilen funktioniert nichts. Nichts: Kein Management, keine Wirtschaft, keine Familie, keine Welt. Wenn Sie mir das nicht glauben – die fünfte Folge der Reihe „WU-NachhaltigkeitsKontroversen“ am 11. Mai 2015 brachte dieses Thema sehr gut auf den Punkt. Die Veranstaltung trug den Titel „Die Ökonomie des Teilens: Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung oder Frischzellenkur für den Kapitalismus?“ und ging den Hoffnungen und Ängsten nach, die mit dem Teilen verbunden sind. Hauptreferent war Reinhard Loske von der Universität Witten/Herdecke, einer der profiliertesten Akteure des deutschsprachigen Nachhaltigkeitsdiskurses. Mit ihm diskutierten Richard Bärnthaler, WU-Student, Beate Littig, Institut für Höhere Studien, und Sigrid Stix, Ökonomie-Expertin beim Umweltbundesamt. Durch die Veranstaltung führte Dr. Fred Luks, Leiter des WU-Kompetenzzentrums für Nachhaltigkeit.
Diskutiert wurden die neuen Nutzungsformen wie Teilen und Sharing, welche einen veränderte Umgang mit Eigentum, Besitz und Nutzung von Waren und Dienstleistungen mit sich bringt und einen guten Ruf hat, wenn es um Nachhaltigkeit und unsere nachhaltige Entwicklung geht. Doch nicht wenige warnen vor einem all zu naiven Umgang mit der Thematik, wie etwa Sigrid Stix bei der Veranstaltung: „Es gibt eine starke Ökonomisierung, eine starke Bindung an Eigentum. Man hat heute viel, das finde ich hochproblematisch.“ Die Ökonomin gab zu bedenken, dass „geteilte“ Dinge immer jemanden gehörten und Eigentum ja durch Sharing nicht verschwinden würden. Dadurch würde sich die ganze Debatte in den Neoliberalismus einfügen. Sie warf die Frage nach dem Sicherheitsgedanken auf und wie wohl dann die Arbeitsplätze der Zukunft aussehen könnten und warnte vor einer Ausbeutung. Mit Reinhard Loske war sie jedoch einer Meinung, dass der langsame Trend weg vom Eigentum nicht aufhaltbar wäre. „Sharing wird kommen“, meinte Losko. Die Tendenz ginge seiner Meinung nach in die Richtung „Nutzen von Dingen, statt sie zu besitzen.“ Er zählte bereits funktionierende Beispiele wie das Car-Sharing, Coach-Surfing, Ride-Sharing, Kleider-Tausch, House-Sharing, Urban Gardening oder Crowdfunding auf und betonte, dass die Menschen versuchen würden, Ballast loszubekommen und in Balance zu kommen. Es dürfe jedoch nie zu wenig und nie zu viel sein. Und monopolartige Stellungen wie z.B. Google, welcher 95% der Marktanteile im Suchmaschinenbereich des Internets hielte, wären einfach nicht tolerierbar. „Es geht nicht, dass nur einer alles bestimmt, da gehören Fesseln angelegt“ so Loske.
„Müssen wir denn immer Eigentümer sein?“ so lautete eine abschließende Frage aus dem Publikum. Nein, natürlich nicht. Dann müsste sich unsere Denkweise jedoch ändern. Das ging sehr klar aus der Veranstaltung hervor. Es bedarf einer Richtungsänderung in unseren Gedanken. Beispielsweise ist „Zwilling-sein“ etwas Besonderes, ein hoch angesehener Zustand. Ich habe für mein Teilen mit meiner Schwester stets Bewunderung erhalten. So ein Zusammenhalten, so eine enge Verbindung, so ein doppeltes Lottchen würden sich alle gerne wünschen, hörte ich oft. Es muss ja nicht immer das doppelte Lottchen sein, es kann auch der Nachbar von nebenan sein. Mit jedem kann man alles teilen. Vorausgesetzt „Sharen“ und „Teilen“ wäre in unseren Köpfen höher bewertet als jeglicher Besitz der Welt – und vorausgesetzt jeder wüsste, was er braucht und kann dies auch klar kommunizieren.
Posted by Evelyne Huber