Türkis-Grün im ersten Nachhaltigkeits-Check
Sebastian Kurz und Werner Kogler am 2. Jänner 2020 in der Aula der Wissenschaften, Wien. Erste Analyse des Regierungsprogramms – Prüfungsfach: Klimaschutz – Benotung: gut – Erklärung:
Die Klimaleugner sind draußen, die Klimaschützer drinnen.
Was bedeutet das Regierungsprogramm für die Nachhaltigkeit?
Beginnt mit der Koalitionsregierung aus Volkspartei und Grünen eine neue Epoche, eine neue Ära? Das zu behaupten, ist verfrüht und also verfehlt. Was hingegen mit der türkis-grünen Koalition wirklich beginnt, ist der völlig neue, weltweit erstmalige Versuch, mittels einer Wirtschafts- und einer Umweltpartei eine Regierung zu bilden und Politik zu gestalten. Das ist nicht banal. Und für die Nachhaltigkeit relevant. Drei Fragen sind zu beantworten:
- Enthält das Regierungsprogramm Leitlinien und konkrete Projekte für eine nachhaltige Entwicklung?
- Enthält das Regierungsprogramm Initiativen für Nachhaltigkeit als ein partizipatives Such- und Verständigungsverfahren der Gesellschaft?
- Bietet das Regierungsprogramm Anreize für staatliches, unternehmerisches und privates Handeln im Sinne der Nachhaltigkeit?
Das Regierungsprogramm ist eine Wende
Das Ergebnis einer ersten, anhand des Klimaschutzes vorgenommenen quantitativen und qualitativen Analyse lautet: Das Regierungsprogramm ist eine Wende zu einer Ökologisierung der Wirtschaft, unter anderem durch die dafür wesentliche Steuerpolitik, aber es bietet noch keine umfassende Orientierung an Nachhaltigkeit.
Der Nachhaltigkeit-Check
Der erste Nachhaltigkeits-Check gilt der Klimapolitik, konkret dem Klimawandel, den Klimakrisen, dem Klimaschutz und den Klimazielen sowie den Klimaabkommen und den Klimainvestitionen. Das Klima wird – dann in genannten Abwandlungen – in dem 328 Seiten umfassenden Regierungsprogramm genau 126 Mal genannt, der Klimaschutz ist im dritten von sechs Kapiteln als eigenes Politikfeld genannt, gilt aber als häufig genannte Querschnittsmaterie, woraus sich eine geringfügige Anzahl an Mehrfachnennungen für das selbe Projekt, z.B. Green Bonds, ergibt. Was plant die Regierung? Projektiert sind
- ein Kompetenzrahmen zur Erreichung der Klimaziele (S. 11),
- eine Koppelung der Zuwendung von Finanzausgleichsmitteln an das Erreichen von Klimaschutzzielen durch die jeweilige Gebietskörperschaft (S. 13),
- die Bundesländer-Bauordnungen den Pariser Klimaschutzzielen anzupassen (S. 41),
- das Implementieren klimarelevanter Maßnahmen in Bauordnungen durch die Länder (S. 41),
- Sport-Veranstaltungen sollen den Kriterien von Green Event Austria gerecht werden (S. 59),
- eine Steuer- und Abgabenstruktur mit Lenkungseffekten für Bekämpfung des Klimawandels (S. 69),
- eine „Bürger-Stiftung Klimaschutz“ für private Investitionen und für Vergabe von Anleihen (S. 69),
- die Auflage von Green Bonds durch die Bundesfinanzierungsagentur ÖFBA (S. 69),
- ein Engagement für den „Green Supporting Factor“ in Europa, damit Europas Banken für Kredite im Sinne klimaneutraler Investitionen weniger Eigenkapital hinterlegen müssen (S. 72),
- eine ökologisch-soziale Steuerreform mit Lenkungseffekten zur Bekämpfung des Klimanwandels (S. 76)
- eine Steuerentlastung durch eine eine KESt-Befreieung für ökologische Investitionen (S. 77);
- eine ökosoziale Steuerreform mittels Flugticketabgabe, NoVA-Ökologisierung, Ökologisierung der LKW-Maut (S. 78), des Dienstwagenprivilegs und des Pendlerpauschales (S. 79);
- Kostenwahrheit bei CO2-Emmissionen durch CO2-Steuer (S. 80),
- Einsatz für CO2-Zölle auf europäischer Ebene für jene Importe, die nicht den Standards des Klimaschutzes entsprechen (S. 81),
- neue Lehrberufe im Klimaschutz (S. 87, S. 258))
- ein den Klimaschutz förderndes Beteiligungsmanagement der ÖBAG (S. 91),
- verstärkte Zusammenarbeit des Bundes mit Kommunalkredit Public Consulting zur Förderung von Klimaschutzprojekten (S. 97),
- ein klimaneutrales Österreich bis 2020 (S. 102),
- verpflichtender Klimacheck bei Gesetzen (S. 102),
- Weichenstellung für eine klimafreundliche Technologie-Ära (S. 103),
- Eintreten für Klimazölle, für Erhöhung der internationalen Klimafinanzierung und des österreichischen Beitrags zum Green Climate Fund (S. 104),
- Nachbesserung und Konkretisierung des Nationalen Energie- und Klimaplanes (NEKPO) mit vier Unterprojekten (S. 104),
- horizontale Maßnahmen wie Gesetze, Governance und den Klimacheck (S. 105),
- eine klimaneutrale öffentliche Verwaltung durch verbindliche Klimaschutz-Richtlinien für alle Institutionen des Bundes (S. 106), etwa Vorgaben für Dienstreisen und das Mobilitätsmanagement
- nachhaltige Beschaffung (S. 107) und eine klimaneutrale Verwaltung bis 2040;
- Umsetzung einer Green Finance Agenda (S. 107), etwa durch eine „Bürger-Stiftung Klimaschutz“ (S. 107) und Green Bonds,
- Green Jobs und Sanierungsoffensive bei den Gebäuden (S. 108),
- Phase-out-Plan für fossile Energieträger in der Raumwärme in zeitlichen Stufen von 2020 bis 2035 (S. 110),
- erneuerbare Energien so auszubauen, dass die Stromversorgung bis 2030 auf diese bzw. Ökostrom umgestellt werden kann (S. 112),
- Fortsetzung des Anti-Atomkraftweges (S. 115),
- ein Klimaschutz- und Wasserstoffzentrum (S. 116),
- ein Green Deal für Österreichs Wirtschaft, konkret die Förderung von Cluster-Leitprojekte und von Investitionen in Klimaschutz (S. 117),
- Klimaschutz durch Bioökonomie (S. 118),
- ein Klimaschutz-Rahmen für den Verkehrssektor (S. 121),
- umweltfreundliche Mobilität, auch durch ein 1-2-3-Österreich Ticket als klimaschonende Alternative (S. 122),
- Fahrradoffensive und attraktiverer Fußverkehr (S. 129),
- Ausbau der E-Mobilität, alternativer Energieträger und alternativer Kraftstoffe (S. 130),
- Dekarbonisierung des Straßenverkehrs (S. 131), Masterplan Güterverkehr (S. 132),
- Kostenwahrheit im Verkehr durch eine der Umwelt- und Klimabelastung entsprechende Lkw-Mau (S. 133),
- Klimafairness in Luft- und Schifffahrt sowie Seilbahnen (S. 134),
- Einbeziehung der Luftfahrt in den Emmissionshandel, Erhöhung der Flugticketabgabe auf 12 Euro, Einsatz für Kerosinbesteuerung auf EU-Ebene (S. 136),
- Kreislaufwirtschaft, Abfallpolitik, Wasserschutz, Wald- und Bodenpolitik im Sinne des Klimaschutzes (S. 140 ff.), klimafitter Wald (S. 161),
- Abgeltung von Klimaschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft (S. 157),
- Tourismus-Auswirkungen auf Klima und Ökologie prüfen, ACRB-Ergebnisse berücksichtigen (S. 165),
- Sonderbudgets für nachhaltigen Tourismus (S. 166), Richtlinien und Förderungen für klimaneutralen und ökologischeren Tourismus (S. 167), umweltgerechte Beschneiung in Skigebieten (S. 170),
- Aktive Klimadiplomatie (S. 174), also Einsatz Österreichs für eine EU als Klimavorreiterin (S. 176) und für Klimaschutz-Standards in Handelsverträgen (S. 176),
- Grüne Diplomatie (S. 182), also ein höherer Beitrag an den Green-Climate-Fund der UN und Einführung einer Klimabotschafterin,
- Akzente und Initiativen in der Entwicklungszusammenarbeit zugunsten des Klimaschutzes (S. 187),
- Berücksichtigung zeitgemäßer Lehr- und Lerninhalte wie etwa Klimaschutz an Schulen und in Lehrplänen (S. 292), klimagerechte Standards im Schulbau (s. 296),
- Mitwirkung der Hochschulen an der Österreich-Strategie zum Klimaschutz (S. 305), Technologie- und Klimaoffensive in der angewandten Forschung (S. 309),
- Transparenz und Zugang zu Daten der Klimaforschung, Schaffung eines neuen nationalen Zentrums zur Klimaforschung (S. 312).
Das Fazit zum Klima-Programm
Das Regierungsprogramm bietet zum Klimaschutz Hunderte Projekte und Initiativen, zudem legislative, administrative und finanzielle Vorschläge. Um dieses Programm umzusetzen, ist sachlich viel zu tun, es müssen einige Akteure mitwirken, es wird viel an Änderungen im Verhalten und in den Haltungen erforderlich sein! Das ergibt einen hohen Aufwand an Gesprächen, allerdings auch an finanziellen Mitteln. Die Thematik ist kompliziert, die Politik ist komplex – daher gibt es für die projektierte Klimapolitik noch keine Erfolgsgarantie. Aber der Versuch ist alternativlos. Und er könnte schon deswegen weitestgehend gelingen, weil die Klimaleugner aus der Regierung geflogen und die Klimaschützer in die Regierung eingezogen sind.